1.  Grundlagen

Im Zentrum des gesamten Mängelrecht im Werkvertragsrecht steht die Definition des Begriffs „Mangel“.

Ein Mangel der Leistung liegt vor, wenn der Ist-Zustand vom Soll-Zustand negativ abweicht.

Der Soll-Zustand ergibt sich als „vereinbarte Beschaffenheit“ aus dem Inhalt der Vereinbarung der Bauvertragsparteien. Die vereinbarte Beschaffenheit hat immer Vorrang. Um sie zu ermitteln, müssen alle Unterlagen herangezogen und untersucht werden. Dazu zählen sämtliche Bestandteile des Bauvertrags sowie auch alle übrigen Vereinbarungen oder sonstige Dokumente wie Baubesprechungsprotokolle, Schriftwechsel, fortgeschriebene Zeichnungen und Planungen etc.. Auch Wünsche, Ideen oder Vorstellungen des Auftraggebers sind zu berücksichtigen.

Kann auf diesem Wege nicht festgestellt werden, dass eine Beschaffenheit vereinbart wurde, muss das Werk die „übliche Beschaffenheit“ aufweisen. „Bei der Bestimmung der üblichen Erwartungen an die Beschaffenheit der Bauleistung ist dabei auf die typischen Eigenschaften der infrage stehenden Bauleistung zurückzugreifen, wobei diese unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts und der sich hieraus ergebenden Besonderheiten des Bauwerks zu bestimmen ist.“ (OLG Brandenburg, Urteil vom 26.09.2013, Aktenzeichen: 12 U 115/12).

Im Mängelrecht des Werkvertrags gehen wir also grundsätzlich vom so genannten subjektiven Mangelbegriff aus. Entscheidend ist also, ob überhaupt eine Abweichung der tatsächlichen Leistung von der vereinbarten Leistung und damit vom vereinbarten Leistungserfolg vorliegt. Es kommt also nicht darauf an, ob die Abweichung von der vereinbarten Leistung wesentlich oder unwesentlich ist. Es ist auch nicht entscheidend, ob die Gebrauchstauglichkeit tatsächlich überhaupt beeinträchtigt wird. Es reicht aus, dass die Leistung nicht wie vereinbart ausgeführt wurde.

Beispiel:
Bei einem schwach geneigten Dach wurde vereinbart, dass der Dachdecker mehrere Dichtungsmaßnahmen ausführt. Wenn er eine davon unterlässt, ist seine Leistung mangelhaft. Er kann sich z.B. nicht darauf berufen, dass diese zusätzlichen Maßnahmen von den anerkannten Regeln der Technik nicht gefordert werden und das Dach auch ohne diese Maßnahme dicht ist, seine Gebrauchstauglichkeit also nicht eingeschränkt ist.

Beispiel:
Der Klempner muss eine spezielle vereinbarte Armatur anbringen, auch wenn die Armatur, die er ausgeführt hat, technisch höherwertig und langlebiger ist.

2. Funktionaler Mangel

Neben diesen auch bisher schon geltenden Grundlagen des Mängelrechts im Werkvertrag hat der BGH einen weiteren zentralen Begriff gestellt und zwar den des funktionalen Mangels. Damit ist gemeint, dass der Unternehmer bei allem, was er tut, berücksichtigen muss, ob seine Leistung auch dazu führt, dass das Werk am Ende diejenige Funktion erfüllt, die es nach den Vertragsumständen erfüllen soll.

Das bedeutet, dass das Werk auch dann mangelhaft ist, wenn der Unternehmer alle Fachregeln eingehalten und sämtliche vertraglich geschuldeten Arbeiten fachgerecht ausgeführt hat, die Funktion, die das Werk haben sollte, aber trotzdem nicht gegeben ist.

Der funktionale Leistungserfolg, also das funktionierende Werk, ist also das Ziel, dass der Unternehmer erreichen muss. Dieses Ziel steht noch über seiner Pflicht, die vertraglich vereinbarte Leistung fachgerecht zu erbringen.

Beispiel:
Wenn das neue Dach nicht dicht ist, obwohl der Unternehmer alle vereinbarten Leistungen erbracht hat, ist seine Arbeit mangelhaft. Ein Dach hat die Funktion, Feuchtigkeit abzuhalten. Es funktioniert also nicht, wenn Feuchtigkeit eindringt.

Beispiel:
Der Unternehmer baut in einem Ärztehaus die ausgeschriebenen Türen ein. Sie lassen den Schall aus dem Behandlungszimmer in die Nebenzimmer durch. Die Funktion der Türen in einem Ärztehaus ist daher nicht gegeben. Sie müssen schalldicht sein.

Beispiel:
Ein Maler führt die Leistung zur Beschichtung der Holzfenster von außen genau in der ausgeschriebenen und damit vertraglich vereinbarten Form vollkommen fachgerecht aus. Dadurch wird jedoch kein ausreichender Witterungsschutz hergestellt. Die Leistung ist mangelhaft, weil die Funktion des Anstrichs ist, einen dauerhaften Witterungsschutz der Holzfenster zu erreichen.

Der funktionale Mangelbegriff hat also auch die Folge, dass die Einhaltung sämtlicher anerkannter Regeln der Technik und sämtliche vertraglicher Vorgaben nicht automatisch bedeutet, dass die Leistung mangelfrei ist. Es kann immer noch ein funktionaler Mangel gegeben sein.

Außerdem bedeutet die Feststellung eines funktionalen Mangels, dass gar nicht mehr zu prüfen ist, ob der Unternehmer alle anerkannten Regeln und alle vertraglichen Vereinbarungen eingehalten hat. Seine Leistung ist auf jeden Fall mangelhaft.

3. Leistung und Vergütung

Der funktionale Mangelbegriff hat Auswirkungen sowohl hinsichtlich der Leistung als auch hinsichtlich der Vergütung:

Leistungsseite:
Da die Leistung mangelhaft ist, gelten die üblichen Regeln:
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die Mängel zu beseitigen. Der Auftraggeber kann bis zur Mängelbeseitigung den Werklohn zurückbehalten in Höhe des doppelten der Mängelbeseitigungskosten. Diese üblichen Regeln gelten auch beim funktionalen Mangel.

Vergütungsseite:
Der Unternehmer muss zur Beseitigung eines funktionalen Mangels üblicherweise Leistungen erbringen, die über das hinausgehen, was bislang ausgeschrieben und damit vereinbart war. Die Parteien haben jedoch nur für diese Leistung einen Preis verabredet. Wenn der Unternehmer jetzt zur Mängelbeseitigung zusätzliche Arbeiten erbringen muss, die bisher nicht vereinbart waren, steht ihm eine zusätzliche Vergütung dafür zu.

Er hat diese zusätzliche Vergütung seinem Auftraggeber anzukündigen und kann unter Umständen sogar eine Vorschusszahlung vom Auftraggeber verlangen.

4. Prüfungspflicht und Bedenken

Der funktionale Mangel hat auch Auswirkungen auf die Prüfungspflichten des Unternehmers. Er muss nicht nur isoliert untersuchen, ob er das vertraglich vereinbarte, also von ihm geschuldete Werk einwandfrei erbringen kann. Er muss auch prüfen, ob mit den beauftragten Leistungen ein funktionierendes Werk entstehen kann. Hat er Zweifel, muss er Bedenken anmelden.

Beispiel:
Mit den vereinbarten Arbeiten kann eine völlig einwandfreie Beschichtung eines Hallenbodens hergestellt werden. Sie kann normale Belastungen, nicht aber die erhöhten Anforderungen einer Befahrung mit schwerem Gerät (Stapler etc.) aushalten. Wenn der Unternehmer die spätere Nutzung der Halle kennt, muss er Bedenken anmelden und darauf hinweisen, dass die vereinbarte Beschichtung nicht funktionieren wird bei der vorgesehenen Belastung des Bodens.