1.
Ein Werk ist mangelhaft, wenn es mit Fehlern behaftet ist, die den gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Welchen Gebrauch und damit welche Beschaffenheit des Werks die Parteien vereinbart haben, ist durch Auslegung des Werkvertrags zu ermitteln.

2.
Zur vereinbarten Beschaffenheit gehören alle Eigenschaften des Werks, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Dieser bestimmt sich nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien ausfüllen soll.

3.
Der bloße Umstand, dass Glasscheiben gebrochen sind, sagt nichts darüber aus, welche Vertragspartei dieses Risiko zu tragen hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Parteien als Funktion vereinbarten, dass keine Glasbrüche, außer durch Fremdeinwirkungen, auftreten dürfen.

(BGH, Beschluss vom 09.07.2014, VII ZR 161/13)

 

Sachverhalt:

Der AN lieferte und montierte eine Stahl-Glas-Fassade. Im LV heißt es:

Die Verglasung gehört zur Leistung. Es dürfen nur einwandfreie, plane und unbeschädigte Glaseinheiten eingebaut werden.
Es kommt zu 6 Brüchen der Verglasung. Der AG verlangt über 2 Millionen € für die Neuherstellung, weil das Werk nach seiner Meinung mangelhaft ist. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Der BGH hat die OLG-Entscheidung aufgehoben und die Sache noch einmal an das OLG zurück verwiesen.

 

Urteil:

Zunächst bestätigt der BGH die generellen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Mangels (s. o. Leitsätze 1 und 2). Danach ist also jeweils – wenn klare Angaben fehlen – durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln, welchen Gebrauch, welche Beschaffenheit und welche Funktion des Werks vereinbart wurde. Wenn die vereinbarte oder gewöhnliche Funktionstauglichkeit mit der vertraglich vereinbarten Leistung nicht erreicht werden kann, schuldet der AN trotzdem die vereinbarte Funktion.

Hier sieht der BGH die wesentliche Frage darin, ob die Parteien als Funktion des Werks Glasfassade vereinbart haben, „dass keine Glasbrüche, außer durch Fremdeinwirkung, auftreten dürfen.“ (s.o. Leitsatz 3) um diese Frage zu beantworten, ist der Vertrag auszulegen. „Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere der zum Ausdruck gekommene Wille der Klägerin, für welchen Zweck sie das Bauwerk nutzen wollte und welchen Anforderungen es nach diesem Zweck genügen musste.“ Es ist zu klären, wer das Risiko des Glasbruchs wegen verdeckter Nickelsulfideinschlüssen auch bei technisch einwandfrei hergestellten und eingebauten Gläsern tragen soll. Die Formulierung im LV, nur „einwandfreie und unbeschädigte Glaseinheiten“ dürften eingebaut werden, sagt darüber nichts aus.

Das OLG muss diese Auslegung durchführen. Daher hat der BGH das Verfahren dorthin zurück verwiesen.

 

Praxistipp:

Das Argument, dass der Unternehmer nicht das Risiko des Glasbruchs übernommen haben kann, weil er dann eine technisch unmögliche Leistung versprochen hätte, führt bei der Auslegung nicht weiter. Auch bei Vereinbarung einer technisch unmöglichen Leistung bleibt der Vertrag wirksam. Der AG hat dann einen Schadensersatzanspruch gegen den Unternehmer. Und dieses Risiko könnte der Unternehmer in seine Preise einrechnen, also wirtschaftlich ausgleichen.

Wichtig ist die Entscheidung aus meiner Sicht auch für andere Gewerke, bei denen nicht vorhersehbare und nicht zu beeinflussende Umstände für den Erfolg und die Funktion ausschlaggebend sind. Zu denken ist z.B. an die Veralgung von WDVS-Fassaden. Die Rechtsprechung geht – bislang – fast einhellig davon aus, dass der Unternehmer als Funktion den einwandfreien Zustand der Flächen über die gesamte Gewährleistungszeit schuldet. Diese Annahme scheint mir nach der BGH-Entscheidung durchaus fraglich. Man wird sich in den genannten Fällen die Frage stellen müssen: Was haben die Parteien hinsichtlich dieser Funktion, also hinsichtlich der Veralgung, vereinbart?

Damit ist neben der Anmeldung von Bedenken ein weiterer Weg aufgezeigt für die Entlastung des Unternehmers von Mängelansprüchen. Bedenken müssen ausdrücklich, klar und einigermaßen umfangreich mitgeteilt werden. Für Auslegungen müssen alle vertraglichen Umstände herangezogen, berücksichtigt und bewertet werden. Ein Hinweis des Unternehmers, er könne das Risiko einer Algenbildung nicht beurteilen und habe es daher weder einkalkuliert noch spezielle Maßnahmen vorgesehen, könnte im Rahmen der Auslegung ausreichen. Für einen Bedenkenhinweis wären die Angaben zu vage.

Ein korrekter Bedenkenhinweis ist jedoch immer noch der juristisch sichere Weg gegenüber dem sehr unsicheren Ergebnis einer Vertragsauslegung und daher immer vorzuziehen.