Problem:

Ein Bauvertrag wird vom Auftraggeber (AG) gekündigt. Ein wichtiger Grund dafür liegt nicht vor. Es handelt sich also um eine sogenannte freie Kündigung. § 648 Satz 2 BGB sieht vor:

„Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.“

Umsatzsteuer für nicht ausgeführte Leistungen?
Entfällt auf diesen Teil der „Vergütung“ Umsatzsteuer? Muss also der Auftragnehmer (AN) Umsatzsteuer berechnen, in der Rechnung ausweisen und an das Finanzamt abführen? Muss der Auftraggeber (AG) die Umsatzsteuer aus der Rechnung für den gekündigten Teil des Vertrags übernehmen, also an den AN zahlen?

BGH-Grundsatzurteil: Keine Gegenleistung, also keine USt
Mit seinem Urteil vom 22.11.2007 (Aktenzeichen: VII ZR 83/05) hat der BGH seine Auffassung noch einmal grundsätzlich festgeschrieben. Nach seiner Auffassung wird für den gekündigten Teil der Leistung keine Vergütung gezahlt, die als Entgelt im Sinne von § 10 Abs. 1 UStG anzusehen ist. Der BGH erkennt, dass der Vergütung für den nicht erbrachten Teil der Leistung eben gerade keine (Gegen-)Leistung gegenübersteht. Damit entfällt auch die entscheidende Voraussetzung für das Entstehen der Umsatzsteuerpflicht.

BGH: Entschädigungscharakter
Der BGH sieht in der „Vergütung“ gem. § 648 Satz 2 BGB für den kündigungsbedingt nicht ausgeführten Teil der Leistung eher eine Entschädigung als eine Vergütung. Für eine Entschädigung müsse aber keine Umsatzsteuer gezahlt werden. Das gelte auch dann, wenn der Unternehmer aufgrund der Kündigung gar keine Leistung erbringt.

Der AN soll keinen Schaden erleiden, weil der AG ohne wichtigen Grund kündigt. Die in diesem Fall zu leistende Zahlung des AG stellt also eine Art Ausgleich für das Recht des AG dar, jederzeit den geschlossenen Werkvertrag mit dem AN ohne Grund, also „frei“, zu kündigen.

Der Begriff „Vergütung“ in § 648 Satz 2 BGB ist nicht im umsatzsteuerrechtlichen Sinn zu verstehen, sondern soll klarstellen, dass der Anspruch des AN nach freier Kündigung des Vertrags durch den AG auf die Höhe der vertraglich vereinbarten Vergütung begrenzt ist. Mehr kann der AN nicht verlangen. Der AG kann sein wirtschaftliches Risiko schon vor der Kündigung genau kalkulieren. Das wäre nicht der Fall, hätte der Gesetzgeber die Regelung als reinen Schadenersatzanspruch angelegt.

Urteil Finanzgericht Niedersachsen: Umsatzsteuer auf AllesDas
Finanzgericht Niedersachsen wendet sich in seinem Urteil vom 28.02.2019 (AZ: 5 K 214/18) ausdrücklich gegen diese BGH-Rechtsprechung. Es bezieht sich auf den Wortlaut des § 648 Abs. 2 BGB. Dort heißt es ja, dass der AN die vereinbarte „Vergütung“ verlangen kann. Daraus leitet das Finanzgericht ab, dass alle Beträge, die der AN vom AG im Zusammenhang mit dem geschlossenen Werkvertrag erhält, als Vergütung anzusehen sind. Daher seien sie insgesamt als Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts zu sehen, so dass auch auf den gekündigten Teil der Leistung Umsatzsteuer zu berechnen und zu zahlen ist.

 (FG Niedersachsen, Urteil vom 28.02.2019, AZ: 5 K 214/18 )

 

Revision beim Bundesfinanzhof läuft
Das Finanzgericht hat wegen der Abweichung von der Rechtsprechung des BGH die Revision zum BFH (Bundesfinanzhof), dem obersten Gericht in Finanzsachen, zugelassen. Sie ist auch eingelegt. Das Revisionsverfahren läuft noch. Es ist nicht abzusehen, wann eine Entscheidung fallen wird. 

 

Praxistipp:

Wenn der AN seine Vergütung wegen des gekündigten Teils der Leistung geltend macht, sollte er sich derzeit noch an die BGH-Rechtsprechung halten und keine Umsatzsteuer auf diesen Teil berechnen. Allerdings sollte er Vorkehrungen treffen, falls der BFH doch zu einer anderen Auffassung als der BGH kommt und das Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen bestätigt. Dazu sollte er in der Rechnung und/oder in dem Anschreiben, mit dem die Rechnung verschickt wird,  ausdrücklich vermerken, dass er sich die Nachforderung der Umsatzsteuer für die Vergütung für den gekündigten Teil der Leistung vorbehält.

 In einem Rechtsstreit sollte z.B. ein entsprechender Feststellungsantrag gestellt werden.