Sachverhalt:

Der Auftraggeber schließt einen Bauvertrag über die Errichtung eines Heims für betreutes Wohnen (Los 1) und eines Kultur- und Begegnungszentrums (Los 2). Nach Erstellung der Schlussrechnung für Los 2 legt der Auftragnehmer die Bürgschaft zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts vor. Der Auftraggeber verweigert die Auszahlung mit zwei Argumenten: Ihm stehen Schadensersatzansprüche aus Los 1 zu und außerdem gebe es Mängel bei Los 1.

 

Entscheidung:

Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 09.12.2014, AZ: 8 U 165/13) entscheidet für den Auftragnehmer. Der Auftraggeber muss den Sicherheitseinbehalt auszahlen.

Die Parteien haben die beiden Lose, die in einem Vertrag vereinbart wurden, als getrennte Sachverhalte behandelt. Deshalb hat der Auftragnehmer auch für das Los 2 eine eigene Schlussrechnung vorgelegt mit einem Sicherheitseinbehalt, berechnet nur nach dieser Schlussrechnungssumme. Der Auftraggeber hat die entsprechende Bürgschaft akzeptiert.

Bei zwei unterschiedlichen Bauvorhaben darf der Auftraggeber gegenüber dem Sicherheitseinbehalt nicht mit Schadensersatzforderungen aus einem anderen Bauvorhaben aufrechnen. Er ist auch nicht berechtigt, wegen Mängel an einem Bauvorhaben auf den Sicherheitseinbehalt aus einem anderen Bauvorhaben zurückzugreifen.

Das OLG begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass ein Gewährleistungseinbehalt seinem Sinn und Zweck nach grundsätzlich für ein bestimmtes Bauvorhaben vereinbart wird. Der Auftraggeber darf auf die Sicherheit also nur zurückgreifen wegen Ansprüchen aus genau diesem Bauvorhaben.

Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Auftraggeber Mängel bei einem anderen Bauvorhaben rügt. Würde er in diesem Fall auf die Sicherheit aus einem anderen Bauvorhaben zurückgreifen dürfen, wäre er im Ergebnis übersichert

 

Praxishinweise:

1.
Das OLG Karlsruhe schließt sich der Auffassung an, die mehrere andere Oberlandesgerichte und zahlreiche Baujuristen für richtig halten. Es wendet sich ausdrücklich gegen eine Entscheidung des OLG Hamm. Das hat entschieden, dass ein Auftraggeber einen Sicherheitseinbehalt trotz Übergabe einer Bürgschaft dann nicht auszahlen muss, wenn er mit Ansprüchen aus einem anderen Bauvorhaben aufrechnen kann.

Ich halte die Auffassung des OLG Karlsruhe für richtig. Es weist darauf hin, dass eine Bürgschaft in der Baupraxis regelmäßig auf ein bestimmtes Objekt bezogen wird. Auch die VOB/B knüpft die Sicherheit grundsätzlich an die Gewährleistungsansprüche für ein bestimmtes Bauvorhaben. Nur so kann der Auftragnehmer Klarheit darüber haben, wann er die Sicherheit/Bürgschaft zurückverlangen kann.

2.
Es passiert durchaus häufig, dass der Auftraggeber die Bürgschaft zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts entgegen nimmt, den Einbehalt jedoch nicht auszahlt. Es gelten dann folgende Regeln, die der BGH aufgestellt hat:

2.1
Grundsatz:
Auch wenn die Leistung des Auftragnehmers mangelhaft sein sollte, darf der Auftraggeber nicht beide Sicherheiten behalten. Er muss entweder die Bürgschaft zurückgeben oder den Einbehalt auszahlen.

2.2
Der Auftraggeber muss den Einbehalt nicht auszahlen, wenn er den Einbehalt bereits für die Mängelbeseitigung verwertet hat, als der Auftragnehmer ihm die Bürgschaft vorgelegt hat. Er muss dann jedoch die Bürgschaft zurückschicken.

2.3
Der Auftraggeber muss auch dann den Einbehalt nicht auszahlen, wenn der Auftragnehmer sich im Verzug mit der Mängelbeseitigung befindet oder wenn eine Frist zur Mängelbeseitigung kurz nach Eingang der Bürgschaft abläuft. Der Auftraggeber muss sich aber überlegen, ob er die Bürgschaft behalten möchte oder den Einbehalt zur Deckung der Kosten der Mängelbeseitigung verwendet. Er darf auch in diesem Fall nicht beide Sicherheiten (Einbehalt und Bürgschaft) behalten, sondern muss sich für eine entscheiden und die andere dann herausgeben.

2.4
Wenn Mängel vorliegen, darf der Auftraggeber nach den allgemeinen Regeln einen Teil des Werklohns zurückbehalten. Dieses Zurückbehaltungsrecht wandelt sich in einen Geldanspruch um, wenn der Auftragnehmer mit der Mängelbeseitigung im Verzug ist z.B. weil die Frist zur Mängelbeseitigung abgelaufen ist. Mit diesem Geldanspruch kann der Auftraggeber grundsätzlich aufrechnen. Solange diese sog. „Aufrechnungslage“ aber noch nicht eingetreten ist, dem Auftraggeber also (nur) ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, muss er den Sicherheitseinbehalt auszahlen, wenn der Auftragnehmer ihm eine Bürgschaft vorlegt.